Bericht: Critical Mass – Budapest, 19.4.2009


„Critical mass (Kritische Masse) ist eine international verwendete Aktionsform, bei der sich mehrere nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer scheinbar zufällig und unorganisiert treffen, um mit gemeinsamen und unhierarchischen Protestfahrten durch Innenstädte mit ihrer bloßen Menge und ihrem konzentrierten Auftreten auf ihre Belange und Rechte gegenüber dem motorisierten Individualverkehr aufmerksam zu machen“, wie uns die Wikipedia zu erzählen weiß. Aber wie groß ist sie, diese kritische Masse? In Graz nehmen regelmäßig einige Dutzend Leute teil, in Wien einige hundert. Und in Budapest? In Budapest sind es zehntausende!

Der Autor dieses Artikels – Christoph Aistleitner – lebt derzeit einige Monate in Budapest und hat diesen Bericht (+Photos) über die CM in Budapest geschrieben, der hier und evtl. in diversen anderen Radzusammenhängen publiziert wird. Danke für den Gastbeitrag. Bibliographische Angaben am Ende der Seite.

Radfahren in Budapest findet unter äußerst schlechten Vorzeichen statt. Als ich vor einigen Monaten hierher zog, wurde mir von einschlägig Gebildeten dringend abgeraten: es sei im Sommer zu heiß, im Winter zu kalt, zu viel Verkehr, zu wenig Radwege, zu viele Baustellen, zu wenig Rücksichtnahme, zu viele stinkende alte Dieselbusse, zu wenige Abstellplätze, und vor allem: Radfahren in Budapest sei lebensgefährlich. Und das alles trifft auch tatsächlich zu: ohne mit der Stadt zu streng ins Gericht gehen zu wollen, die mich hier so freundlich aufgenommen hat, muss ich feststellen, dass die Bedingungen für Radfahrer äußerst unangenehm sind. Die Stadt verfüge, wie auf ihrer Internetseite stolz zu lesen, über ein Radwegenetz von hundert Kilometern Länge (zum Vergleich: in Wien sind es über tausend). Aber der größte Teil dieser Radwege liegt entweder im Budaer Bergland am Rande der Stadt, ist aufgrund ewiger Baustellen (entlang der Donau etwa) oder desaströsen Zustandes praktisch unbefahrbar oder gehört zur Spezies jener immer häufiger zu sehenden Zauberradwege, die sich innerhalb weniger Stunden aus dem Nichts und ganz ohne Aufwand herstellen lassen, indem einfach in der Mitte eines Gehsteiges eine gelbe Längslinie angebracht und die straßenseitige Hälfte zum Radweg erklärt wird.

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In der hiesigen Tourist Info bekommt man (gratis) einen Radwegeplan, auf dem zu lesen ist, Zitat: „Die Budapester Radwege bilden zusammen mit den Verbindungswegen ein Netz“. Was recht annehmlich klingt, ist in Wirklichkeit glatte Verhöhnung. Als Verbindungsweg wird in diesem Plan nämlich alles bezeichnet, wo eine Verbindung notwendig, aber nicht vorhanden ist, wo es also dem tapferen Radler überlassen bleibt, eine Verbindung zwischen zwei lose baumelnden Radwegenden herzustellen. Viele dieser „Verbindungswege“ führen etwa über die Budapester Donaubrücken, von denen keine einzige eine halbwegs gefahrlose Überquerung des Flusses ermöglicht – dem Radler bleibt nur überlassen, ob er die einspurige, aber für ihn verbotene Kettenbrücke wählt, verfolgt von einem wütenden Hupkonzert, oder ob er lieber die erlaubte Elisabethbrücke benützt, die aber, als dreispurige Hauptverkehrsstrecke, tatsächlich lebensgefährlich im engeren Sinn ist. Auf Margareten-, Szabadsag- und Petöfibrücke ist die Lage um nichts besser; der Radler tut also, was er immer tut, wenn er in Budapest eine Verbindung herzustellen hat, er fährt auf dem Gehsteig, was zwar toleriert wird, aber natürlich hohes Konfliktpotential birgt.
Die Rücksichtnahme im Verkehr ist hier, so meine subjektive Erfahrung, noch weit weniger ausgeprägt als in unserem Land: hier gilt in noch größerem Ausmaß das Recht des Stärkeren, also jenes der Autos, Busse, Straßenbahnen, so dass sich der Fußgänger und Radfahrer wie ein unerwünschter Eindringling vorkommen muss, wenn er das Reich der Starken, die Straße betritt (dazu passt, dass der Gehsteig grundsätzlich als Parkplatz verstanden wird). Wenn einem von einem Autofahrer die Querung einer Straße mittels Zebrastreifen gestattet wird, so ist das eine große Gnade, derer man sich entsprechend zu bedanken hat. Wer wagt, eine Straße so zu betreten, dass jemand den Fuß kurz vom Gaspedal nehmen muss, hat ein Gewitter aus Hupengedonner und Fernlichtblitzen zu erwarten. Und wer es dann noch wagt, eine Straße gar in Längsrichtung zu befahren, auf einem klapprigen Drahtgestell hockend – dem Gnade Gott!

Unter diesen Umständen überrascht es nicht, dass der Radverkehrsanteil, in Graz zuletzt auf 16% gestiegen, in Wien bei 6% liegend (alle Angaben ohne Gewähr – ich schreibe, auf der Terrasse meiner Budapester Wohnung sitzend, ohne Internet oder sonstige Rechercheunterlagen in Reichweite), in Budapest magere 2% beträgt. Und, wie die Logik des Systems nun mal funktioniert, ohne Radfahrer braucht es auch keine Radfahrerinfrastruktur. Und da geht dem verwöhnten Grazer Bürger (ja, aus der Ferne besehen ist alles schön) so manches ab: Fahrradabstellplätze, Fahren gegen Einbahnen, Tempo 30 in Nebenstraßen, etc. etc. Daher ist es dringend nötig, deutlich zu machen, dass es sehr wohl Radfahrer gibt in dieser Stadt, und dass es viele sind, dass es sogar sehr viele sind, dass sie eben die kritische Masse übersteigen, die nötig ist, um auch politisches Gewicht zu bekommen (wie die Sache mit der 50jährigen kommunistischen Herrschaft im Land zusammenhängt, die von manchen Schlaubergern als Ursache und Erklärung für alles und jedes herangezogen bzw. manchmal auch –gezerrt wird, sollen berufenere Geister, i.e. Politologen oder Soziologen, feststellen).

Es ist schon erstaunlich: ich gehe mit offenen Augen durch die Stadt (bzw. radle), aber Werbung für die Veranstaltung wäre mir nicht untergekommen. Im Internet gibt es eine Seite, das weiß ich, aber woher wissen das alle anderen? Ist diese Budapester critical mass, einmal im Herbst und einmal im Frühling, so eine Selbstverständlichkeit, eine so fixe Einrichtung, dass sie gar nicht mehr kundgetan zu werden braucht? Ich sitze am Treffpunkt, einem Tabán genannten Park, unterhalb eines mir nicht näher bekannten Obelisken (ich gestehe, ich habe verabsäumt bzw. gar keine Lust, diese Dinge für den Artikel zu recherchieren – wer Interesse hat, möge einen Reiseführer konsultieren) und wundere mich über die Inhomogenität der hier Anwesenden: da sind natürlich zunächst und vor allem junge Menschen, peppig gekleidet, vermutlich Studenten an einer der hiesigen Unis. Aber da sind auch Familien mit Kindern, die älteren auf eigenen Rädern, manchmal Laufrädern, die kleineren im Wagen oder auf den Rücken geschnallt. Da sind obercoole Sonnenbrillenträge, bei denen man sich wundert, dass sie je aus den Clubs ans Tageslicht hervorkommen, auf Designerrädern, bei denen man das Gefühl hat, dass sie erstmals der Garage entkommen sind. Da sind alte Frauen auf winzigen Rädern (wie hießen die? Mini? Micro?), mit Körben an der Lenkstange, die offenbar von den dröhnenden Bässen der aus Lautsprecherboxen dringenden Hip-Hop-Musik verunsichert sind. Da sind Jugendliche, die sich als harte Jungs gebärden, und die man in Österreich an der Tankstelle an die Dachkante eines aufgemöbelten Golf GTI gelehnt suchen würde, während sie hier ihr angestammtes Biotop, die Budaer Berge, verlassen haben, um mit ihren absurd überzüchteten Mountainbikes, mit Schienbeinschonern und Motorradhelmen neben kiffenden Althippies im Grad zu sitzen. Da sind fette Typen mit Vollbart in verchromten Harley-Davidson-artigen Chopper-Fahrrädern, junge Draufgänger auf selbst geschweißten tall bikes, Leute mit Skateboards, Rollschuhen, Inlineskates, die die Gunst der freien Straße nutzen wollen, und da bin auch ich, mittendrin, mit meinem metallic-erbsengrünen Puch-Fahrrad, gebraucht gekauft hier in einem fragwürdigen Kellerladen, aber trotz des offensichtlich hohen Alters (frühe 80er Jahre?) und fragwürdiger Zusammensetzung (Rennradrahmen und -schaltung, aber gebogender Bequemlichkeitslenker?) in einem derart umwerfend guten Zustand, mit blitzenden Metallteilen, eleganten Weißwandreifen, tadelloser Mechanik, dass dem braven unbekannten Vorbesitzer hier ein aufrichtiger Dank ausgesprochen sei (in Ermangelung anderer Möglichkeiten steht das Rad jetzt Tag und Nacht im Freien unter einem Nussbaum – ich habe schrecklich Gewissensbisse, es ist bestimmt besseres gewöhnt). Auch die anderen Räder sind übrigens, obwohl immer wieder von recht hohem Alter, in genauso tadellosem Zustand wie das meine – es muss wohl daran liegen, dass jeder, der in dieser Stadt Rad fährt (und sich dafür auch politisch einsetzt) ein absoluter Fanatiker sein muss, und sein Rad entsprechend liebt und hegt. Es geht los – ich schnappe Sankt Patrick, so benannt ob seiner Farbe und dem Nationalheiligen der gleichfarbigen Insel und radle los ….

… aber nur ein paar Meter weit. Es staut. Der Weg aus dem Park ist schmal. Wir warten. Warten. Dann nach einer halben Stunde kommt auf der Straße, hintern dem Zaun neben uns, die Radfahrergruppe in Sicht. Später erfahre ich, dass es die Spitze der Kolonne ist, die schon die erste Fünf-Kilometer-Schleife gefahren ist und jetzt wieder den Ausgangspunkt streift. Als ich selbst nach der entsprechenden Schleife am Ausgangspunkt vorbeifahre, warten dort noch immer die Massen. Und ich mittendrin, in einem zumindest zehnkilometrigen Rattenschwanz aus Radfahrern.

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Von Tabán geht es über die schnellstraßenartig verschlungenen Auffahrten auf die Elisabethbrücke, unter gewöhnlichen Umstände eine Sache auf Leben und Tod, dann auf der gegenüberliegenden Flussseite kurz die Vaci utca entlang, Kurve, unter einer Unterführung durch, wieder rauf, und wieder auf die Elisabethbrücke, deren Auffahrt wenig feinsinnige Geister in den 50er Jahren so gelegt haben, dass man an der Stadtpfarrkirche in Höhe der gotischen Chorfenster vorbeirauscht, was drinnen einen enormen Schallpegel verursacht (im Fall einer critical mass natürlich nicht, aber bei Sonntagsgottesdienst und Schwerverkehr kann die Sache sicher ziemlich unangenehm sein – recht besinnlich ist das jedenfalls sicher nicht). Dann unterhalb des Burghügels entlang, von wo die Burg böse blickt, einen habsburgerischen Machtanspruch unterstreichend, den es schon lange nicht mehr gibt, durch den Tunnel (für Radfahrer verboten), über die Kettenbrücke (für Radfahrer ebenfalls verboten) und somit wieder ans östliche Donauufer, nach Pest (Budapest besteht aus den im 19. Jahrhundert zusammengeschlossenen Städten Buda und Pest – Buda, der ältere, ruhigere Teil im Westen, Pest, jung, turbulent, chaotisch im Osten). Gelegentlich stehen Polizisten am Straßenrand, aber der Verkehr wird von jungen Leuten mit grünen critical mass servizö-T-Shirts geregelt, ohne größere Probleme, wie es scheint (der Verkehr wurde offenbar weiträumig umgeleitet – Lob den Verantwortlichen. Die Jungs und Mädels achten darauf, dass Fußgängern das Queren an Zebrastreifen ermöglicht wird, und die Leute halten sich dran – wirklich wahr). Es geht am Parlament vorbei und dann die Andrassy út entlang, die der Radler gewöhnlich nur auf einem schmalen Radweg befahren darf, einen gefühlten halben Meter breit, eingezwängt zwischen in Längsrichtung parkenden Autos und der Gehsteigkante, und immer im Bewusstsein, dass eine sich öffnende Autotür mangels Ausweichmöglichkeit unweigerlich Genickbruch nach sich zieht (Wer plant und baut solche Gehsteige? Sicher keiner, der je darauf fährt). Es geht am Heldenplatz vorbei, der als Aufmarschort der neofaschistischen Ungarischen Garden traurige internationale Berühmtheit erlangt hat, und in den Park, wo sich die Masse versammelt.

Und was ist da? – – – Da ist nichts. Zugegeben, da sind natürlich all die Leute, und auch all die Räder sind da, und das ungarische Fernsehen (mit dem hübschen Kürzel MTV, möglicherweise für magyar televiszio oder etwas dergleichen – es führte vor ein paar Jahren zu Verwirrung, als ein aufgebrachter Pöbel die Studios des Staatsfernsehens stürmte, und unwissende Westler, teils schadenfroh grinsend, teil bloß ungläubig erstaunt, meinten, die Revolte richte sich gegen music television, als Inkarnation westlicher Dekadenz), und auch ein DJ ist da und ein paar Boxen, und eine Frau die die allgegenwärtigen gesalzenes Brezeln (sós perec, so weit reicht mein Ungarisch) sowie Halbliterflaschen Wasser aus einem mit Eis gefüllten Kinderpantschbecken verkauft. Aber sonst ist da nichts, und man wundert sich: keine Band, keine Werbebanner, keine Flugblattverteiler, keine Dosenbier- und Dönerkebapstände (hierzulande eher Gyrös), keine Moderation, keine Videowalls, keine Sitzgelegenheit, keine chemischen Klos, keine Securities, keine Polizei, keine Jump-Show und kein Dirt-Race, keine Fahrradhändler und keine Fahrradreperateure, keine Merchandising-Stände, einfach gar nichts, nur Menschen, im Gras sitzend und stehend, so weit man sehen kann. Dann wird eine dreiviertel Stunde gewartet, man geduldet sich, bis der Rest des Rattenschwanzes eintrifft, man plaudert, trinkt mitgebrachtes Bier, liegt im Gras, bringt sich in Position fürs Abschlussfoto. Dann ist es halb sechs, jemand schnappt ein Mikrofon und zählt, und zumindest három, kettö, edj verstehe ich (drei, zwei, eins), und dann reißen die Leute ihre Fahrräder in die Luft, halten sie hoch über den Köpfen, mit den sich drehenden Rädern ganz oben, alles jubelt, alles schreit, das ist der große Moment, das ist die inzwischen berühmte Pose, das Budapester wie-heißt-das-noch-mal (Budapest bike lift? Irgendwas englisches, ich hab’s vergessen), schon zu beobachten in jenen Momenten, wenn ein Halten an einer Kreuzung nötig war, eine kurze Unterbrechung, ein Stau vor einer Engstelle, sofort stemmen die Leute ihre Räder in die Höhe, schreiend, und ich bin mir nicht sicher, was das vor allem ausdrückt, ob es in erster Linie Stolz ist, Stolz auf die Selbstbestimmung als Radfahrer, die Herrschaft des Menschen über die Maschine, die in seinen Händen liegt, statt dass er wie in eine Konservendose in selbige eingeschlossen ist, oder ob es eine drohende Geste ist, gemeinsam mit dem Schreien, ob es ein Aufbäumen ist, rohe Gewalt, wie ein urzeitlicher heidnischer Berggeist oder Riese, der Felsbrocken über den Kopf hebt und niederstürzen lässt auf die, die ihm schlechtes wollen. Jeder hebt das Fahrrad über den Kopf, jeder macht ein Foto – und dann fahren die Leute nach Hause. Keine Party, keine Musik, kein Gelage, die Leute fahren einfach weg. Und vielleicht ist auch das etwas, das einen Teil des Erfolges dieser Veranstaltung ausmacht, die Tatsache, dass es eben kein Lifestyle-Event ist, keine durchgestylte Party, auch kein Radio-Steiermark-Fahrradwandertag, sondern immer vor allem ein politisches Ereignis, eine Demonstration auf Rädern (wenn auch nicht als Demonstration gemeldet), und dass es hier wirklich in erster Linie um das gemeinsame Anliegen geht, das so viele, das so unterschiedliche Menschen zusammengebracht hat.

Auf dem Heimweg hat einen dann der tägliche Kampf wieder, der Kampf um einen Platz auf der Straße, der  Kampf gegen den Autoverkehr. Die Radfahrer, in lockeren Gruppen, verteidigen tapfer eine Spur der Straße, unter heftigem Protest, unter lautem Gehupe. Heute behalten die Radfahrer die Oberhand. Die restlichen Tage des Jahres rollt hier dann wieder der motorisierte Verkehr – ganz ohne lästige Störenfriede.

– – – – – – – – –

Auf T-Shirts ist die Entwicklung der Teilnehmerzahl der critical mass-Veranstaltungen in Budapest zu sehen: Im ersten Jahr 4.000, im folgenden 10.000, dann 30.000, schließlich 50.000 und zuletzt 80.000. Wie viele es heute waren, kann ich nicht sagen, vielleicht wurde es durchgesagt und von mir nicht verstanden. Ich werde morgen im Internet nachsehen. Ich bin gespannt auf den Umfang und die Tendenz der Berichterstattung

(Geschrieben am 19.4.2009, abends, noch im Hochgefühl des soeben frisch Erlebten)

Budapest CM 9Der Autor: Christoph Aistleitner, geboren 1982, lebt in Graz und derzeit für einige Monate in Budapest. Er arbeitet als Mathematiker an der TU Graz sowie am Renyi Institute of Mathematics der ungarischen Akademie der Wissenschaften.
Fotos:
Bild 1: Vor dem Start
2: Es geht los!
3: Die Masse rollt…
4: Durch den Tunnel
5: Über die Kettenbrücke
6: Am Ziel
7: Das Fahrrad über den Kopf… was diese Symbolik bedeuten mag?
8: Man sieht die Radfahrer vor lauter Fahrrädern nicht
9: Der Autor mit Sankt Patrick vor dem Eingang zu seiner Budapester Wohnung


13 Antworten zu “Bericht: Critical Mass – Budapest, 19.4.2009”

  1. ich war auch am sonntag dabei und ebenfalls begeistert. allerdings scheint deine euphorie ein wenig mit dir durchgegangen zu sein: nicht bei jeder kreuzung reißen die leut umbedingt ihre fahrräder in die höhe – ich durfte das auf alle fälle kein einziges mal (auf dem weg in den varosliget) beobachten…
    und ja, bike lift nennen sie diese symbolträchtige handlung.

    und. ich hab auch das gefühl, dass die budapester radfahrerInnen größeres revolutionäres potenzial in sich tragen – das kommt mir vor allem immer dann in den sinn, wenn ich all die leut mit ihren ungefederten, aber sehr feschen rennrädern seh, die über DIESE straßen (und baustellen) brausen

  2. ganz verstehen tu ich das ja dort nicht, als wir letztes jahr, einen tag vor der cm in budapest ankamen, haben wir vielleicht 3,4 menschen mit fahrrad gesehen, dann bei der cm am nächsten tag sinds 80000. und auch sonst hab ich den verkehr als nicht sonderlich radfreundlich gesehen.

    is wahrscheinlich ähnlich wie bei uns der wien marathon, ein event wo alle meinen dabei sein zu müßen 😉

  3. mir ist auch noch nicht klar, ob die CM budapest eine message hat – so wie zB in wien die message ist „wir nehmen uns den platz der uns zusteht“ oder „wir lassen und nicht an den Rand drängen“ oder ob die Budapest-CM eher ein volksfest ist.

    wobei die idee eines politischen volksfestes ja keine schlechte ist 🙂

    aber wie flo meint: wenn sonst niemand rad fahrt und dann plötzlich 80.000 das radfahren feiern, dann fehlt mir auch noch der missing link.

  4. zum einen: super bericht! ich war eine woche vor der CM in
    budapest, und hab zum einen schon ein paar plakate gesehen (in unserer
    jugendherberge, beim radverleih neben unserer herberge, in einem cafe)
    und auch recht viele leute, die trotz des großen risikos mit dem rad auf der strasse unterwegs waren. die CM in budapest also als volksfest ohne message abzutun,ist für mich nicht ok, das wirkt eher so wie eine trotzreaktion: „die haben viel mehr leute, aber dafür ist bei uns alles mit viel mehr hintergrund und viel politischer und überhaupt!“ in graz sind leider nie mehr als 30-40 leute (im sommer), die haben natürlich eine höhere „dichte“ an politisierung und meinung, die 30-40 hats aber sicher in Budapest auch gegeben, wenn nicht sogar viel mehr, und die haben es halt geschafft, 1000ende mitzuziehen, die sicher nicht so viel
    drüber nachdenken, muss ja auch nicht sein.
    somit ist budapest schon ein vorbild, es gibt mehr engagierte leute, die mehr leute, die sich nicht so mit dem thema beschäftigen, mitziehen können.
    lg shakim

  5. ich glaube nicht, dass es nur neid oder trotz ist – obwohl angesichts von 80.000 leuten bin ich ganz offen neidig – sondern auch fehlende information, was in budapest radmässig sonst so abgeht.

    wieviele leute dort mit dem rad fahren, welche lobbies es gibt usw.

    ich weiss auf jeden fall dass es in budapest eine sehr starke aktive und öffentliche radlobby gibt, die auch finanziell auf gesunden beinen steht. Würde da gerne noch mehr wissen.

    und @shakim: ja du hast recht. es gibt mehr engagierte leute, die andere leute mitziehen. und das ist etwas was wir hier (in meinem fall wien) auch wieder brauchen:

    leute die nicht nur sagen „wow – super – 500 leute im sommer ist cool“ sondern viel mehr leute die selbst aktiv werden, flyer machen, leute einladen, werbung machen, ideen haben – damit wir bald mal über 1000 sind und irgendwann dann mal 5000. an 80.000 will ich noch nicht denken grad.

  6. Hallo, vielen Dank fuer die zahlreichen Reaktionen. Als Autor moechte ich zu den Kommentaren was sagen, wo weit’s mir moeglich ist.

    @fiatalno: Das mit dem bike lift hab ich immer wieder gesehen, etwa im Tunnel, auf der Kettenbruecke, vorm Parlament, fast immer wenn es gestaut hat – vielleicht warst du in einem Abschnitt, wo’s nicht so viele Stehzeiten gegeben hat. Mit welchen Raedern die Leute hier fahren, find ich auch interessant. Sehr viele Rennraeder, sehr viele extreme Hochleistungsmountainbikes (das liegt vielleicht dran, dass ich am Rand der Budaer Berge wohne). – Ob das mit dem bike lift eine typisch Budapester Sache ist oder eh ueberall ueblich, weiss ich uebrigens nicht (in Graz gibts das nicht, schaut bei 15 Leuten vielleicht auch seltsam aus).

    @flo: Radfreundlich ist die Stadt ganz sicher nicht, und es gibt wirklich relativ wenige Radfahrer. Ich kann mir das nur so erklaeren, dass zur CM Leute kommen, die zwar grundsaetzlich gern radfahren wollen, denen das aber im Alltag zu arg ist. Also etwa aeltere Leute, Leute mit Kindern, Leute denen es einfach zu gefaehrlich vorkommt etc. Jedenfalls zeigt die riesige Menge der Teilnehmer, dass ein grosses Potential an Alltagsradlern da waere.

    @peer: Ich glaub, dass es allen Angesprochenen (also Politikern im Speziellen, und Medienkonsumenten bzw. Augenzeugen im besonderen) klar ist, was die Message ist: „Wir wollen radfahren, und wir wollen entsprechende Rahmenbedingungen“. Offenbar ist die ganze Fahrt diesmal auch unter einem konkreten Motto gestanden, es ging um den versprochenen und nie gebauten Radweg in der Kossuth Strasse. Wenn aber zigtausende Leute zusammenkommen, dann bekommt das, glaub ich, automatisch auch eine Art Volksfestcharakter. Mich erinnerte das an die Anti-Schwarz-Blau Demos in Oesterreich 2002 (?), wo ja auch super Stimmung war, obwohls eine rein politische Angelegenheit war.
    Man muss auch sagen, dass es hier auch monatlich eine „minimal mass“ genannte CM gibt, mit vielleicht 100 oder 200 Leuten, die viel naeher an einer „urspruenglichen“ CM ist: keine Routenplanung mit der Polizei, sondern einfach treffen, losfahren, Kreuzungen blockieren, „bike lift“, weiterfahren, links, rechts, oben, unten. Da treffen sich dann halt wirklich die politischen Hitzkoepfe, und nicht irgendwelche „Mitlaeufer“. Bin gestern zufaellig reingeraten (diese Sachen werden in irgendwelchen Foren organisiert, die ich mangels Sprachkenntnis nicht lesen kann).

    @Symlink: Ich weiss, dass das mit den Radwegen fuer viele ein rotes Tuch ist (ich weiss ehrlich gesagt nicht, ob es hier eine Radwegbenuetzungspflicht gibt). Viele Radwege hier sind wirklich laecherlich, 75 cm breit auf den Gehsteig gepinselt etwa. An manchen Stellen waeren sie hier aber wirklich dringend. Es ist zum Beispiel extrem schwer, die Donau legal zu queren: auf Gehsteigen natuerlich illegal, auf der kettenbruecke sowieso verboten, bleiben Margit hid und Erszebet hid. Ich fahr taeglich ueber die Erszebet hid, und das ist echt extrem. Ganz rechts die Busspur (verboten), daneben zwei Autospuren. Egal wo du faehrst, rechts und links zischen die Autos teilweise sehr sehr knapp vorbei. Auf der Busspur solltest du wirklich nicht fahren, weil dich dann Taxler oder Busfahrer „zur Strafe“ besonders knapp und gefaehrlich ueberholen. Da waere ein Radweg wirklich wichtig. Ich fahr auch sehr oft nicht am Radweg, wenns den Umstaenden entsprechend gut geht. Aber hier auf den drei-, vierspurigen Strassen, oft mit Tempo 60 oder mehr (legal 60, faktisch 70 oder 80) riskiert man echt sein Leben. Die Leute in der „kleinen“ CM gestern, also Leute, die sich vermutlich echt intensiv engagieren und mit der Sache auseinandersetzen, skandierten auch staendig „bringa ut, bringa ut (Radweg, Radweg)“ als Forderung.

    @shakim: Es sind hier sicher auch genug Leute dabei, die das als Familienausflug, als eine Art Radtour in der Stadt sehen (man kommt bei allen wichtigen Sehenswuerdigkeiten vorbei – echt klasse Route). Aber ich finde das schon gut so, vor allem in Kombination mit den monatlichen kleinen CMs, in Ergaenzung zu den zwei grossen pro Jahr. Die kleineren sind ziemlich anarchisch, sehr politisch. Die grosse ist halt in erster Linie gross – und kommt auch immer ins Fernsehen, Radio, Zeitung, traegt also zur Bewusstseinsbildung betreffend das Problem bei.

  7. Ja, wirklich „nur“ 30.000. Die Veranstalter wissen offenbar selbst nicht recht, warum. Einige meinen, da sei schon der Niedergang der CM (a la: „Did you think CM would last forever?“), andere meinen (was ich mir auch gut vorstellen kann) dass das etwas unbestaendige Wetter mitgespielt hat. Ein oder zwei Stunden vor dem Start hat es einigermassen nach Regen ausgeschaut – vielleicht hat das Leute abgeschreckt.

    Letzten Freitag war hier wieder CM (die dritte inerhalb von 6 Tagen), diesmal vielleicht 50 Leute. Zuerst 30 Minuten auf Radwegen (!) gefahren, dann 15 Minuten auf einer (illegalen) Busspur – wem faellt denn sowas ein? da ist mir die politische Message nicht klar.
    Danach noch ca. 45 Minuten durch die Innenstadt, aber auch immer nur brav hintereinander und nur auf einer Spur. Keine Ahnung, vielleicht gab’s da oefters Probleme mit der Polizei. Als Gast halte ich mich an den „Hausbrauch“, aber verstehen tu ich’s nicht.

  8. Der Termin für das nächste jahr würde mich auch interressieren.
    Eine Anmerkung zur Anzahl der Radfahrer in BP: die ist in den letzten zehn Jahren IMHO extrem gestiegen. Den Grund sehen die meisten Bürger in den deutlich steigenden Preisen der öffentlichen Verkehrsmittel. Vielleicht auch eine Ursache für die rege Beteiligung an der CM, da die Infrastruktur nicht mitgewachsen ist…

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